PDA

Was sind die Hauptmerkmale von PDA? 

Gemäß dem 01/2022 publizierten diagnostischen Leitfaden der PDA Society[1] gibt es 6 Hauptmerkmale eines Pathological Demand Avoidance Syndroms, auf welche ich in der Folge gerne etwas ausführlicher eingehe (s. dazu auch PDA-Checkliste nach Dr. med. N. Chou-Knecht[2]).

1.     Widersetzt sich den und vermeidet die alltäglichen Anforderungen des Lebens

Ein von PDA betroffenes Kind empfindet alltägliche Anforderungen als unerträglich stressig und  tut sich schwer damit, Anforderungen nachzukommen. Es vermeidet auch eigentlich gewollte Tätigkeiten (z. B. Hobbies) und Grundbedürfnisse (z. B. Essen, Toilettengang, Schlaf), obwohl es von der Vernunft her weiß, dass sich dies zu seinem Nachteil auswirkt.  In diesem Punkt unterscheidet sich PDA von einer  Störung des Sozialverhaltens.  Als Grund für die Vermeidung kann eine tiefgründige Angst und ein damit verbundenes Kontrollbedürfnis erkannt werden.

2.     Verwendet soziale Strategien als Mittel der Vermeidung

Auch Kinder mit „klassischem“ Autismus  verweigern gewisse Tätigkeiten, wobei dies oft durch ihre sensorischen Besonderheiten oder sozialen Schwierigkeiten begründet ist. Im Gegensatz zu Kindern mit PDA-Profil verwenden sie aber zur Vermeidung keine sozial wirkenden Strategien. PDAer versuchen jedoch, ihre Vermeidung  zunächst in sozial weitgehend angepasster Art mit Strategien wie Ablenkung, Verhandeln, komplizierten Ausreden, Hinauszögern, Rollenspielen, Kontrollübernahme, fadenscheinigen Lügen oder Rückzug in die Phantasie zu verschleiern. Wenn der Druck größer wird, reagieren sie auch mit Ablehnung, Beleidigung oder Drohung. Führen die gewählten Strategien nicht zum Ziel oder wird weiter Druck ausgeübt, kann es zu einer raschen Eskalation kommen – dies bis hin zu Panikreaktionen, Weglaufen, Aggression, Meltdown, Shutdown oder Selbstverletzungen.

3.     Verfügt oberflächlich über gute soziale Fähigkeiten, aber es fehlt ihm an Tiefe im sozialen Verständnis

Das PDA-Kind wirkt oberflächlich meist  kontaktfreudig bis hin zu gesprächig, charmant und extrovertiert. Außerdem kann es soziale Interaktionen kopieren und imitieren, um sich anzupassen (Masking). Wenn man aber näher mit ihm in Kontakt tritt, wird ein Mangel an einem tiefgründigen sozialen Verständnis offensichtlich.  Das PDA-Kind wird  in seinen sozialen Fähigkeiten oft überschätzt, was zu vielen Missverständnissen führt.  PDAer haben des Weiteren große Schwierigkeiten, soziale Hierarchien zu erkennen oder zu akzeptieren. Sie treten zum Teil herrisch und dominierend auf und versuchen andere zu kontrollieren, dies weil Kontrolle ihnen ein Gefühl von Sicherheit gibt.

4.     Erlebt exzessive Stimmungsschwankungen und Impulsivität

Kleine, alltägliche Ereignisse können Auslöser für schnelle und heftigste Stimmungsumschwünge sein,  dies insbesondere wenn die aktuelle Toleranz  beim Kind niedrig ist, weil sich bereits viel Stress angesammelt hat. Die Bezugspersonen der Kinder haben das Gefühl, auf „Eierschalen laufen“ zu müssen. Während der Stimmungsschwankungen verliert das Kind oft die Kontrolle und scheint von einer Angst- bzw. Fight/Flight/Freeze-Reaktion geleitet zu sein. Zur Regulierung seines Nervensystems ist das PDA-Kind  auf die volle und uneingeschränkte Präsenz einer Bezugsperson angewiesen – dies im Sinne eines Angebotes von Co-Regulation.

5.     „Zwanghaftes“ Verhalten, das sich oft auf andere Menschen konzentriert

Das PDA-Kind zeigt sich aufgrund des Bedürfnisses nach Co-Regulation oft zwanghaft auf eine Bezugsperson (meist die Mutter) fixiert, was  zu einer extremen Anhänglichkeit und Kontrollverhalten führt. Das Kind hat ziemlich fixe eigene Vorstellungen, was er/sie wie und wann tun will und kann andere gut dazu bringen, Dinge so zu tun, wie er/sie es möchte.

6.     Scheint sich im Rollenspiel und beim So-tun-als-ob wohl zu fühlen, dies manchmal in einem extremen Ausmaß

Dieses Merkmal ist nicht bei allen PDAern vorhanden. Es liegt andererseits bei vielen in extremem Ausmaß vor und stellt ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zum „klassischen“ Autismus dar.  Das PDA-Kind nimmt also oft Rollen oder Charaktere aus Büchern, dem  Fernsehen oder dem wirklichen Leben ein und lebt diese aus. Es kann helfen, wenn Bezugspersonen auf das Rollenspiel eingehen, das Kind also zum Beispiel wie eine Katze behandeln oder in der Rolle des Superhelden ansprechen. Auch stellt indirekte Kommunikation z. B. über ein Plüschtier oft eine Unterstützung dar.

Wichtig ist anzumerken, dass die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung mit PDA-Profil nur dann gestellt werden darf, wenn neben obgenannten Merkmalen auch wirklich die Kriterien für eine Autismus-Spektrum-Störung gemäß den internationalen Klassifikationssystemen (ICD-11, DSM-5) erfüllt sind.  Es müssen also Schwierigkeiten in der Kommunikation und dem Miteinander, repetitive, unflexible Verhaltensmuster, eingeschränkte Interessen sowie sensorische Über- bzw. Unterempfindlichkeiten vorhanden sein und die Defizite müssen schwer genug sein, um Beeinträchtigungen in wichtigen Funktionsbereichen zu verursachen.

Zu erwähnen bleibt noch, dass das Pathological Demand Avoidance Syndrom nicht unter diesem Namen in den internationalen Klassifikationssystemen aufgeführt ist.  E. Newson (Professorin für Entwicklungspsychologie, Nottingham), welche den Begriff PDA seit den 1980ern prägte und für eine offizielle Ankerkennung dieses Syndroms kämpfte, konnte leider nicht erreichen, dass PDA 1994 neben Asperger-Autismus, Frühkindlichem und Atypischem Autismus als eigene Diagnose in das Kapitel der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen in die ICD-10 aufgenommen wurde. Die ICD-10 wird aber ab 2023 durch die ICD-11 abgelöst und in dieser wird nun explizit festgehalten, dass einige Kinder im Autismus-Spektrum eine ausgeprägte „Demand Avoidance“ zeigen und man diese sowie auch die mit Autismus einhergehenden aggressiven Ausbrüche von einer Störung des Sozialverhaltens abgrenzen muss. Auch der Prozess des Maskings, auf welchen ich untenstehend noch eingehen werde, wird in der ICD-11 genau beschrieben. In diesem Sinne sind die PDA-typischen Merkmale also durchaus in der ICD-11 zu finden, wobei die ICD-11 eben nicht mehr einzelne Autismus-Formen unterscheidet, sondern die früher kategorial abgegrenzten Autismus-Formen alle unter dem dimensionalen Begriff Autismus-Spektrum-Störung subsummiert. Wir sehen das PDA-Autismus-Profil also als eine mögliche Ausprägung des Autismus-Spektrums, welche bis heute leider noch zu wenig erforscht geblieben ist und kaum (an-)erkannt wird.


[1] Multidisciplinary group of professionals working in the NHS and private practice, PDA Society (2022) Identifying & Assessing a PDA profile – Practice Guidance

[2] https://pda-anders-autistisch.info/fuer-diagnostizierende-fachkraefte


Wieso wird PDA so schwer erkannt?

Weil PDA noch zu wenig erforscht und nicht unter diesem Namen in den Diagnose-Klassifikationssystemen beschrieben ist, reagieren viele Fachpersonen mit einer gewissen inneren „Abwehr“ gegen das Thema und erachten es eher als Versuch von verzweifelten Eltern, sich aus der Erziehungsverantwortung für ihre im Verhalten auffälligen Kinder zu ziehen.  In den deutschsprachigen Ländern bestehen allerdings selbst in Bezug auf das Wissen zu „klassischem“ Autismus große Mängel. Während meiner Ausbildung zur Psychiaterin habe ich kaum etwas über Autismus gelernt und hatte selbst mit Erhalt des Facharzttitels nur sehr grobe und stereotype Vorstellungen davon, wie sich Autismus präsentieren kann.  Insbesondere hochfunktionale und maskierte Autismus-Formen bleiben auch heute noch oft undiagnostiziert, so dass Betroffene sich erst mit den durch die chronische Stressbelastung ausbildenden sekundären Erkrankungen wie Depression oder Angst-Panikstörungen in der psychiatrischen Praxis zeigen.

Um PDA zu erkennen, braucht es spezifische Kenntnisse zu diesem ASS-Profil, dies weil PDA- Kinder aufgrund ihrer oberflächlich sozial erscheinenden Art, ihrer Fähigkeit zum Rollenspiel, der häufiger wechselnden Spezialinteressen und der weniger repetitiven Verhaltensweisen sowie weniger offensichtlichen Routinen oft durch die Raster der gängigen Autismus-Diagnostik fallen. Auch muss man sich vor Augen führen, dass die Fähigkeit des Maskings bei PDA-Betroffenen meist extrem stark ausgebildet ist. Als Masking bezeichnet man einen auch bei anderen Autismus-Formen vorkommenden, sehr kräfteraubenden Prozess, bei welchem Schwierigkeiten verborgen werden, um sich den sozialen Erwartungen des Umfeldes anzupassen.  Aufgrund des Maskings können sich PDAer in verschiedenen Settings ganz unterschiedlich präsentieren. So maskieren sie ihre Schwierigkeiten z. B. in der Schule oft über lange Zeit perfekt und zeigen sich als hochangepasste Schüler, brechen dann aber regelmäßig zu Hause zusammen, da dies der Ort ist, an welchem sie sich am meisten verstanden und co-reguliert fühlen.  Wenn die Eltern dann Hilfe suchen und von den massiven Schwierigkeiten im häuslichen Umfeld erzählen, geraten sie in Gefahr, dass man ihnen nicht glaubt oder die Schuld am herausfordernden Verhalten der Kinder bei ihnen sucht. Wenn man aufgrund all dieser Besonderheiten die durchaus vorliegenden und die Kriterien der ICD-11 oder DSM-5 erfüllenden autistischen Symptome der PDA-Kinder nicht erkennt, weil diese durch die im Vordergrund erscheinenden Auffälligkeiten wie Verweigerung, Manipulation und Aggression überdeckt werden, dann erhalten diese Kinder oft die Diagnose einer „Störung des Sozialverhaltens“. Mit dieser falschen Diagnose sind aber einerseits Schuldzuweisungen an das Familiensystem verbunden, andererseits werden dadurch falsche Behandlungsansätze gewählt, welche oft zu einer schwerwiegenden Eskalation der Problematik führen.


Kann man bei PDA überhaupt von einer Erkrankung sprechen?

Streng genommen müssen die Autismus-Spektrum-Störungen, da sie in der ICD-11 aufgeführt werden, vom medizinischen Gesichtspunkt her also als Krankheit oder verwandtes Gesundheitsproblem angesehen werden. Nun geht mit dem Krankheitsbegriff aber eine sich auf Defizite konzentrierende Haltung einher und der Begriff impliziert ebenfalls, dass eine „Heilung“ angestrebt werden sollte, da man von einer „Norm“ abweicht, welcher mehr Wert/Funktionalität zugeordnet wird.  

Heute setzt sich in Kreisen, welche sich intensiv mit Autismus, ADHS oder Hochbegabung auseinandersetzen, zunehmend der Begriff Neurodiversität durch – welcher sich davon distanziert, dass eine neurologische Diversität als pathologisch anzusehen ist.  Neurologische Unterschiede werden vielmehr als eine menschliche Disposition angesehen und respektiert – ja man entdeckt sogar besondere Stärken, welche durch diese Unterschiede entstehen und einer Gesellschaft Nutzen bringen können. Mit diesem, sich auf die Ressourcen von ASS fokussierenden Blick erkennt man auch, dass es falsch ist, wenn man von Betroffenen verlangt, sich an ihr Umfeld anpassen zu lernen. Vielmehr geht es darum, dass die Gesellschaft lernt, mit neurologisch verschiedenen „Funktionsweisen“ umzugehen. Wenn nämlich von den Betroffenen verlangt wird, dass sie sich unabhängig von ihrem inneren Wohlbefinden an die von der Gesellschaft vorgegebenen Erwartungen anpassen müssen, dann entstehen sekundär tatsächliche psychiatrische Erkrankungen, wie Ängste, Zwänge und Depressionen, welche mit einem schwerwiegendem Leidensdruck verbunden sind.


Wie kann PDA behandelt werden? 

Die Frage nach einer Behandlung von PDA muss man als kritisch erachten, weil „Behandlung“ eigentlich die Erwartung einer Heilung impliziert, welche bei Autismus als Form der Neurodivergenz nicht möglich ist. Wenn wir uns jedoch nach der Möglichkeit eines hilfreichen Umganges mit PDA fragen, dann sollten wir zunächst verstehen, wie eine PDA-Symptomatik entsteht.  Die Forschung weist darauf hin, dass ASS auf einer angeborenen Dysbalance der Integration von Reizen beruht und sieht Autismus also als eine „Informations-Integrations-Störung“.[1]  Hierzu müssen wir Folgendes verstehen: Unser Gehirn ist eine Art  „Predicting Machine“ – wir legen in jedem Moment fest, wie der nachfolgende wohl aussehen wird. Natürlich weicht die Realität dann aber immer in einem gewissen Maß von unseren Vorstellungen ab. Die Differenz zwischen unserer Vorannahme (Prior Believe) und der Realität wird als Predicting Error bezeichnet (s. Bayesian Brain Theorie).  Bei Menschen mit einer autistischen Wahrnehmung wird der Predictionsfehler viel  stärker bewertet als bei neurotypischen Menschen. Diese Informations-Integrations-Störung führt zu einem höheren Maß an “Überraschung” und somit von der Reizüberflutung bis hin zum Overload. Alle von ASS betroffenen Menschen leiden also an einem überreizten oder chronisch gestressten Nervensystem. In den Reaktionen des autonomen Nervensystems von PDA-Betroffenen erkennt man außerdem Parallelen zu denjenigen von traumatisierten Personen [2]/ [3]  . PDA wird in diesem Sinne als Störung des Nervensystems angesehen, in deren Rahmen das Umfeld durch eine veränderte Neurozeption[4] als ständige Bedrohung interpretiert wird. Die Betroffenen werden dadurch unbewusst und im Sinne eines Reflexes am Aufnehmen von Aktivitäten und der Befriedigung von Grundbedürfnissen gehindert.

Bei der Behandlung eines PDA-Kindes kann es also nicht darum gehen, dem Kind durch Konsequenz beizubringen, den Anforderungen des Umfeldes nachzukommen, denn dies würde nur in einer noch größeren, mit Panik einhergehenden Überreizung seines Nervensystems resultieren. Auch die bei „klassischer“ ASS angewandten strengen Routinen und visuellen Zeitpläne erweisen sich bei PDA als nicht wirksam, sondern führen das Kind meist nur noch mehr in die Vermeidung. Vielmehr sollte das Umfeld  lernen, sich den Besonderheiten des Nervensystems des Kindes anzupassen. Dies erfordert flexible und kooperative Strategien – kurz gesagt ein Begegnen auf Augenhöhe, welche dem Kind ein durchgehendes Gefühl von Kontrolle und Autonomie erlaubt und so zur Beruhigung seines Nervensystems führt.  Auch ein indirekter Kommunikationsstil und entpersonalisierte Aufforderungen bewähren sich.

Die PDA Society hat die wichtigsten hilfreichen Strategien im PANDA[5]-Konzept festgehalten:

Pick battles/Kämpfe weise auswählen: Regeln minimieren, Auswahl und Kontrolle ermöglichen, Gründe erklären, akzeptieren, dass manches einfach nicht geht

Anxiety management/Angstmanagement: Low-arousal-Ansatz wählen, Unsicherheiten reduzieren, zugrundeliegende Angst und soziale Herausforderungen erkennen, vorausdenken, herausforderndes Verhalten als Panikattacken behandeln: hindurchhelfen & weitermachen

Negotiation & collaboration/Verhandlung und Zusammenarbeit: ruhig bleiben, Herausforderungen proaktiv und gemeinsam lösen, Fairness und Vertrauen als Basis

Disguise & manage demands/Anforderungen verschleiern und managen: Bitten/Aufforderungen indirekt formulieren, aktuelle Toleranz für Anforderungen ständig beobachten & Anforderungen entsprechend anpassen, Dinge gemeinsam machen

Adaptation/Anpassung: Humor, Ablenkung, Neuartigkeit & Rollenspiel probieren, flexibel sein, einen Plan B parat haben, viel Zeit ermöglichen, Gleichgewicht zwischen „geben und nehmen“ herstellen.

Wird durch die PANDA-Strategien ein niedrigeres Erregungsniveau des Kindes erreicht, führt das zu einer deutlichen Entspannung der ganzen Familie. Außerdem wird genau dieses niedrigere Erregungsniveau das Kind mit der Zeit befähigen, Fortschritte zu machen und selbst gesetzte Ziele zu erreichen. Es geht bei PDA absolut nicht darum, gar keine Grenzen mehr zu wahren oder jegliche Anforderung zu beseitigen. Das Ziel sollte aber sein, das Gefühl von Gleichberechtigung zu fördern. Wir sollten dem Kind im Rahmen einer gleichwerten Beziehung vermitteln, wie die Welt funktioniert und ihm Vor- und Nachteile seines Handelns wertefrei aufzeigen. Auch muss das Kind unbedingt mit den Bedürfnissen und Grenzen der Bezugspersonen konfrontiert werden. Wenn PDA-Kinder ein niedrigeres Erregungsniveau erreichen und die Bedürfnisse ihres Gegenübers erkennen, wenn sie spüren, dass ihnen in ihren Entscheidungen wirkliche Freiheit gelassen wird, dann zeigen sie sich meist extrem hilfsbereit und immer wieder offen, gute Kompromisse zu finden.

Neben den PDA-Kindern müssen aber auch  die Eltern unbedingt in die therapeutischen Überlegungen einbezogen werden. Denn diese leisten durch die dauernde Notwendigkeit, dem Kind Co-Regulation zu bieten, eine wahnsinnig anspruchsvolle Arbeit.  Anstatt Unterstützung, Entlastung und wirklich hilfreiche Erklärungsmodelle zu erhalten, sehen sie sich leider oft beschuldigt und ausgegrenzt. Noch viel zu oft wird die fehlende Funktionalität der Kinder auch durch Fachpersonen einem dysfunktionalen Erziehungsstil der Eltern zugeschrieben, dies leider auch im Artikel von Kamp-Becker[6]. In ihrer Publikation benennt sie PDA ohne ausreichende wissenschaftliche Grundlage als ungünstiges Verhaltensprofil, welches sich durch dysfunktionales Erziehungsverhalten  oder Psychopathologien der Eltern ausbildet. Diese den Eltern schuldzuweisende Haltung ist leider in der Psychiatrie-Geschichte mit Konzepten wie der  „Schizophrenogenen Mutter“ oder der „Refrigerator Mother“ schändlich tief verankert. Durch eine solch undifferenzierte Haltung wird nicht nur unendlich tiefer Schmerz verursacht, sondern es werden auch wirksame Hilfestellungen verhindert, was schließlich zu sekundären Traumatisierungen von ganzen Familiensystemen führt.  Nicht selten wird den Eltern sogar vorgeworfen, dass sie ihre Kinder pathologisieren und sie sehen sich einem drohenden Sorgerechtsentzug ausgesetzt. PDA-Eltern brauchen vor allem eines – ein sich von Anklage distanzierendes, tiefgreifendes Verständnis für ihre Situation.  Außerdem benötigen sie eine offene Haltung und die Bereitschaft für flexible Lösungsansätze – dies von psychiatrischen Fachkräften, Therapeuten ebenso wie von Pädagogen, Schulbehörden und im Bereich der beruflichen Integration Es liegt schlussendlich an unserer Gesellschaft, ob ein PDA-Kind nach der Reifung seines Nervensystems im Erwachsenen-Alter ein weitgehend „gesundes“ Leben führen darf oder ob es sich von der Gesellschaft missverstanden und ausgegrenzt im Laufe seines Lebens selber aufgibt. Seien wir uns also unserer großen Verantwortung bewusst.


[1] PD Dr. Helene  Haker, Psychiatrie Update Refresher, 14.6.2019, Technopark Zürich/ Fortbildung  „Diagnostik und Behandlung von Autismus-Spektrum-Störungen“, 30.9.2022, Psychiatrie Baselland, Liestal

[2] Casey Ehrlich, Ph.D. (political scientist specializing in research methodology) Founder, At Peace Parents, LLC and co-founder of „PDA Parents“ podcast. Michigan, USA. 

[3] Raelene Dundon (2021) PDA in the Therapy Room – a Clinicians’s Guide to Working with Children with Pathological Demand Avoidance, Jessica Kingsley Publishers

[4] Porges, Stephen (2004). “Neuroception: A Subconscious System for Detecting Threats and
Safety” ZERO to THREE 24, no. 5

[5] https://www.pdasociety.org.uk/resources/panda-approaches-in-german/

Übersetzung durch Elli Carl, Deutschland

[6] [6] Inge Kamp-Becker, Ulrich Schuh und Sanna Stroth, 03/2023, Pathological Demand Avoidance – aktueller Forschungsstand und kritische Diskussion, Horgrefe online


Gibt es Zahlen darüber, wie häufig PDA auftritt? 

Gemäß heutigem Wissensstand ist PDA ein eher seltenes Syndrom, wohingegen die Prävalenz von  ASS bei ca. 1.5% liegt. Die bisher einzige Prävalenzstudie zu PDA[1], die auf den Färöer Inseln durchgeführt wurde, wies darauf hin, dass bei fast 20% der ASS-Betroffenen in der Kindheit ebenfalls Symptome einer PDA vorlagen.  Zwischen dem 15. und dem 24. Lebensjahr erfüllte dann jedoch nur noch eine von neun ASS-betroffenen Personen die vollen Kriterien für PDA.  Auch wenn PDA also relativ selten vorkommt, sind die damit verbundenen Leidensgeschichten meist unendlich groß. Das fehlende Wissen zu diesem Syndrom hat  schon unzählige Familienbiographien zerstört. Einer Aufklärung über das PDA-Syndrom fällt daher eine sehr hohe Wichtigkeit zu.


[1] Gilberg et al (2015) Extreme („pathological“) demand avoidance in autism: a general population study in the Faroe Islands. European Child and Adolescent Psychiatry