PDA

„Aber Dein Kind wirkt doch überhaupt nicht autistisch! Es hält Augenkontakt, scheint an sozialen Begegnungen interessiert und kann sich völlig normal mit mir unterhalten. Bist Du sicher, dass Du Dir da nicht etwas einbildest? Heutzutage wird die Autismus-Diagnose viel zu schnell gestellt. Das kann einem Kind auch schaden.“ Viele von Euch kennen solche Aussagen von Personen, welche das PDA-Kind in einem familienexternen Kontext erleben, nur allzu gut. Es stimmt, dass PDA-Kinder eben „anders“ autistisch sind. Dies liegt zum einen an ihren oberflächlich vorhandenen sozialen Fähigkeiten (inkl. meist sehr guter verbaler Ausdrucksfähigkeit) und den sozialen Strategien, welche sie zur Vermeidung von Anforderungen anwenden. Zum anderen ist Masking bei vielen PDAern ein zentrales Thema. Damit ist gemeint, dass eine Person in verschiedenen Umgebungen bzw. Settings komplett anders bis hin zu gegensätzlich wirkt und auftritt. Eigenschaften und Verhaltensweisen werden also – bewusst oder unbewusst – „maskiert“ bzw. verdeckt.

In der ICD-11[1]wird „Masking“ zwar nicht mit diesem Begriff erwähnt, aber es wird festgehalten, dass einige Personen mit ASS durch außerordentliche Anstrengung fähig sind, in vielen Kontexten adäquat zu funktionieren, sodass ihre Schwierigkeiten für andere nicht ersichtlich werden. Es wird aufgezeigt, dass eine ASS-Diagnose auch in diesen Fällen angebracht ist.

Nachfolgend ein Ausschnitt (Übersetzung) aus dem 2021 erstellten Diagnostischen Leitfaden der PDA-Society[2] zum Thema Masking bei PDA: „Die klinische Erfahrung zeigt, dass Maskierung – das Verstecken oder Verbergen von Schwierigkeiten, sei dies bewusst oder unbewusst – bei autistischen Personen mit einem PDA-Profil besonders häufig vorkommt. Manchmal ist dies nur bei den ersten Treffen offensichtlich und das Ausmaß der Besonderheiten einer Person wird im Laufe der Zeit deutlich. Bei anderen scheinen die Schilderungen über das Auftreten in verschiedenen Umgebungen oder mit verschiedenen Personen nicht zusammenzupassen. Bei sorgfältigem Nachfragen oder Beobachten sind diese Unterschiede jedoch oft geringer, als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. In anderen Fällen kann das Ausmaß der Maskierung jedoch bedeutender und länger anhaltend sein. Dies ist häufig eine Quelle von Missverständnissen zwischen Fachleuten und Familien und kann zu unangebrachten „Schuldzuweisungen“ an Eltern führen. Es kann auch die Mitarbeiter verwirren, die sehen, dass eine Person in einer Situation (vielleicht mit „vertrauterem“ Personal) zurechtzukommen scheint und in anderen nicht, was zu der irrtümlichen Annahme führen kann, dass die Vermeidung in einem gewissen Maß bewusst gewählt wird. Ebenso kann Masking dazu führen, dass eine diagnostische Definition im Zusammenhang mit PDA nicht möglich ist, weil es schwierig ist, über das Zusammenfügen verschiedener Ansichten zu einer Evidenz zu gelangen und die individuellen Symptome als durchgängig zu erkennen.“

Casey Ehrlich[3] hält fest, dass PDA-Betroffene ein oft sehr starkes Masking aufzeigen, welches auch schon bei ganz kleinen Kindern zu beobachten ist. Es wird hier auch der Begriff „High-Masking“ verwendet. Gemäß ihrem Konzept weist das Masking bei PDAern eine spezielle Form auf. Es geht beim PDA-Masking nicht nur um das Imitieren von neurotypischem Verhalten, sondern vor allem auch um das Internalisieren der neuronalen Antwort auf das Gefühl von Bedrohung (Threat Response). Die Fight-Flight-Freeze-Reaktion wird also in Settings, in welchen sich das Kind nicht absolut sicher fühlt, mit erheblicher Anstrengung unterdrückt. Das Kind zeigt dann auch bei Anforderungen ein angepasstes Verhalten, geht also nicht in die Verweigerung, was oft über lange Zeitperioden möglich ist, jedoch zur inneren Erschöpfung führt. Sobald das Kind dann nach Hause, also in sein „sicheres“ Umfeld zurückkommt, kann es die neuronale Antwort auf die innerlich erlebte Bedrohung nicht mehr unterdrücken. Wie wenn ein Schalter gekippt wird, zeigt sich das im familienexternen Setting so angepasste Kind nun bei seinen engsten Bezugspersonen völlig überreizt, dominant und explosiv. Nicht selten führt die wahnsinnige innerliche Anstrengung, welche das Masking für das Kind bedeutet, zu Hause zu massiven Meltdowns und kaum mehr tragbarem Verhalten. Ein über eine lange Zeitperiode aufrechterhaltenes Masking kann zu einem „Burnout“ beim PDA-Kind führen. Im Burnout ist ihm ein Masking dann auch in familienexternen Settings kaum noch möglich. Außerdem kommt es in einem Burnout zu einer Zuspitzung der Verweigerung von „Basic Needs“ wie Essen, Toilettengang, Zähneputzen.

Die bei PDAern vorhandene extreme Fähigkeit zu Maskieren macht PDA besonders „schillernd“. Wenn Eltern und Fachpersonen das typische Symptom-Cluster dieses Autismus-Profils nicht kennen, reagieren sie oft verwirrt und mit divergenten Meinungen.

Erwachsene PDAer können ihr Besonderssein oft sehr klar von „klassischem“ Autismus abgrenzen. Ihre Fähigkeit, sich falls notwendig an ein Setting anzupassen, kann auch als Ressource angesehen werden. Sie ist aber auch immer mit dem Risiko einer Erschöpfung/psychischen Überforderung verbunden, welche sich erst mit der Zeit manifestiert. So gelingt es PDAern oft ohne äußerlich sichtbare Schwierigkeiten, sich gerade auch an für sie neuen Orten für einige Zeit völlig unauffällig zu präsentieren, was auch Eltern zuversichtlich stimmen kann. Gleichzeitig muss man aber immer einrechnen, dass das Masking für das Kind sehr viel Kraftaufwand bedeutet und im schlimmsten Fall in ein Burnout führt.

Nicht erkanntes Masking hat bei PDA-Betroffenen schon viel zu oft verpasste ASS-Diagnosen verursacht. Weil man ihnen ihre Erziehungsfähigkeit absprach, erlebten PDA-Eltern als Folge davon nicht selten einen Sorgerechtsentzug, wodurch unglaubliches Leid entstand. Es ist also von hoher Wichtigkeit, dass Fachpersonen das High-Masking von PDA-Autisten erkennen und sich nicht durch die oberflächlich vorhandenen sozialen Fähigkeiten dazu verleiten lassen, durchaus vorhandene autistische Besonderheiten zu übersehen. Auch Lehrer, Sozialpädagogen und Therapeuten müssen differenziert mit dem Thema umgehen, so dass das Masking nicht zu belastenden Schuldzuweisungen und falschen Hypothesen hinsichtlich der Entstehung der Verhaltensauffälligkeiten führt.


Um das Thema Masking noch weiter zu verdeutlichen, greifen wir hier exemplarisch das Masking in der Schule auf.

Was die Schule sieht:

Ein freundliches, aufgeschlossenes, interessiertes, hilfsbereites Kind, das über den Schultag hinweg zufrieden, glücklich und entspannt erscheint.

Ein Kind, das vergleichsweise problemlos sämtliche Regeln befolgt und die gestellten Aufgaben löst.

Was die Eltern erleben:

Ein Kind, das früh unter allen Umständen verhindern möchte, zur Schule zu gehen; das große Angst, Überforderung und körperliche Stresssymptome zeigt.

Ein Kind, das nachmittags „explodiert“ und keine Energie mehr für jegliche andere Aktivitäten hat.

Was dahintersteckt:

Das Kind wird in der Schule zum „Schul-Kind“. Dies kann unbewusst und automatisch passieren, wird als Masking bezeichnet und kostet das Kind enorm viel Energie. Es ist ihm nicht möglich, in der Schule von seiner Überforderung zu berichten und seine Pausen einzufordern; es ist „blockiert“.

Die neurologische Erklärung

Unsere Amygdala lösen in Situationen, in denen wir bedroht werden, eine fight-flight-freeze-Reaktion (Kampf, Flucht, Erstarrung) aus. PDAer erleben jede (!) Anforderung als Bedrohung, weswegen diese Reaktionen permanent ausgelöst werden. Das PDA-Kind kann dann nicht machen, was es möchte oder was es soll, obwohl es das kognitiv versteht. Es ist häufig frustriert und enttäuscht von sich selbst und im Grunde sehr ängstlich. Das ist das Kind, das die Eltern erleben.

In der Schule schaltet das Gehirn des Kindes diese fight-flight-freeze-Reaktionen unbewusst aus und imitiert soziale Verhaltensweisen und Normen. Dabei führt die Wahrnehmung der Schul-Umgebung als „nicht sicher“ zum „Aktivieren“ der Maske – automatisch und intuitiv. Das ist das Kind, das die Schule erlebt.

Über den Schultag hinweg benötigt das Kind für das Maskieren sehr viel Energie. Es sammelt sich außerdem ein großer Druck an. Dieser zeigt sich zu Hause, in der sicheren Umgebung des Kindes, in Form von herausforderndem Verhalten.

Konsequenzen:

Zuallererst braucht es einen guten Austausch zwischen Schule und Elternhaus, um das Maskieren als solches zu erkennen und ein gemeinsames Verständnis darüber zu entwickeln. Da die Schule in der Regel nur das „funktionierende Schul-Kind“ sieht, ist von ihr ein Blick über den Tellerrand, Offenheit und Vertrauen gefragt.

Das Ziel sollte sein, die Schul-Situation im Vorfeld so weit wie möglich zu entspannen, den Druck zu reduzieren und dem Kind im Schulalltag vielfältige Entscheidungsmöglichkeiten zu schaffen, um die Angst auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.

Quellen

[1]International Classification of Diseases, Eleventh Revision (ICD–11),
World Health Organization (WHO) 2019/2021 https://icd.who.int/browse11 (CC BY-ND 3.0 IGO).
Foundation URI: http://id.who.int/icd/entity/437815624 (accessed 2022–06–02)

[2]Multidisciplinary group of professionals working in the NHS and private practice, PDA Society (2022) Identifying & Assessing a PDA profile – Practice Guidance

https://www.pdasociety.org.uk/resources/german-translation-identifying-assessing-a-pda-profile-practice-guidance/

[3]Casey Ehrlich, Ph.D. (political scientist specializing in research methodology) Founder, At Peace Parents, LLC and co-founder of „PDA Parents“ podcast. Michigan, USA.